Montag, 27. April 2015

Wer die Wahl hat…


Wer die Wahl hat, lernt, was es bedeutet, Entscheidungsschwierigkeiten zu bekommen. Keine leichte Sache ist das.
So geschehen heute Morgen. Mäusezähnchen 2 bekommt die Schale mit der gereinigten Nuggi-Kollektion vom Vorabend (Mama geht nachts immer sammeln, bei uns wachsen die nämlich bevorzugt unterm Sofa, wo es immer schön schattig ist) unter die Nase gehalten, schnappt sich den Erstbesten, steckt ihn – wie immer – verkehrt herum in den Mund (Nuggi verkehrt rum erinnert mich optisch - so mit vorgestülpter Unterlippe dann unumgänglich an einen Frischling, also ein Wildschwein-Baby, weiß auch nicht wieso…) und macht sich wie jeden Morgen emsig ans Regale leeren.

So wie wir morgens im Büro zunächst das Postfach von Spam befreien, muss sie nämlich morgens erstmal Klarschiff in allen Regalen und Kisten haben.


Mäusezähnchen 1 (wir erinnern uns, 1 Minute älter, 1,5 cm größer und viel gewissenhafter) ist an der Reihe.  Sie betrachtet die Zusammenstellung eingehend. Sie hebt die rechte Hand einmal behutsam über die Schüssel, als würde sie so den Gummisauger mit den besten „Vibrations“ erfühlen können. Spürt nach. Sie zieht die Hand zurück. Sie überlegt erneut.

Man hört es förmlich rattern in ihrem kleinen, schlauen Köpfchen. Sie kreist nun mit der linken Hand über der Schüssel (der Papa, der die Schüssel hält, hat mittlerweile die zweite Tram in die Arbeit verpasst, die ihn noch zu einer akzeptablen Uhrzeit hätte dorthin befördern können). Fast wie ein Adler über der Kaninchenwiese, der nur den passenden Moment abwartet, um dann plötzlich hinunter zu sausen und zuzupacken, kreist sie. Angespannt.
Aber nein: Auch die Linke wird wieder zurückgezogen. Ist etwa kein zum Wochentag, T-Shirt oder der aktuellen Stimmungslage passender Schnuller in der Schale? Oder ist sie schlicht überfordert mit so einer großen Auswahl? Sie orakelt weiter. Hochkonzentriert…
Schließlich (eeeendlich!) setzt sie an. Greift mit beiden Händen gleichzeitig in den Teller, schiebt sich einen schönen Nuggi-Haufen (alle, sicher mindestens 10 Teile fassend) zusammen und schöpft ihn sich komplett in den Schoß. Glücklich!
Es kann so einfach sein!
Man muss nicht immer alles verstehen, was die lieben Kleinen so treiben.
Sie sind intelligent. Keine Frage. Alles im Prinzip schon soweit vorhanden. Auch wenn die Hirnstrukturen sich von unseren (hier spricht die müdigkeits-demente Bache, die Mutter der Frischlinge) noch gravierend unterscheiden, einfach weil sie noch nicht so ausgereift sind. Hierzu fehlen noch die (wiederkehrenden) Erfahrungen, das Lernen.
Aber dumm sind sie nicht. Im Gegenteil! Einzig und allein fehlt oft ein adäquates Verständigungsmittel. Ich habe gelesen, dass es Bücher und Kurse (und dementsprechend wohl auch Eltern) gibt, die Babys/Kleinkindern eine spezielle Zeichensprache beibringen).
Diese Zeichensprache umfasst scheinbar Gebärden für wichtige Tätigkeiten und Befindlichkeiten (wie z.B. Spazierengehen, schlafen, Hunger haben, durstig sein, spielen, sich anziehen, sich baden, usw.) und der physiologisch hochkomplexe Umweg über Zunge, Lippen, Kehlkopf, Stimmbänder und Co, was eben alles so zur Formung erwachsenen-gängiger Konversation benötigt wird, wird auf diese Art umgangen.
Langer Rede, kurzer Sinn - pseudowissenschaftliches Geschwafel Ende.
Ich würde allzu gerne MZ 1 oder MZ 2 ab und zu einfach mal fragen können:
„Sag mal, was in aller Welt tust du denn da eigentlich?“
(Womit wir doch wieder zu meinen Halbweisheiten zum Thema Wissenschaft zurückkehren. Warum gibt es zwar japanische Übersetzungsroboter für Hundegebell, nicht aber für Kleinkind-Gebrabbel? Oder hab ich da schlichtweg die entsprechende Galileo-Folge verpasst? Egal, wäre dann ja eh bloß auf Japanisch.)
Immerhin habe ich fast drei Tage intensiven Kleinkindstudiums benötigt, um zu verstehen, warum MZ 1 neuerdings immer rückwärts auf den Balkon, ins Schlafzimmer und in den Sandkasten steigt. Sie krabbelt zielstrebig auf die Schwelle zu, dreht sich ca. 30 cm vorm Übergang ins andere Zimmer/zum anderen Bodenbelag 180 Grad um die eigene Achse und stößt dann auf diese Weise in die fremden Gefilde vor. Was habe ICH mir den Kopf zerbrochen, was nur in diesem (meinem) Kind vorgehen mag! Lösung: Easy.
Hätte ich mein kleines Wundermädchen doch nur fragen können, was es da tut! Ob es sich vielleicht um eine Art Aberglauben handelt oder religiös und kulturell bedingt ist. Ich meine - in Thailand beispielsweise ist es höchst respektlos und verwerflich auf die Türschwelle zu treten. Die Geister, die das Haus/die Wohnung bewachen, halten sich dort auf. Man hat vorsichtig über sie hinweg zu steigen.
Was weiß ich schon, was mein Kind weiß, wovon ich wiederum nichts wissen kann?
Nun ja, gefragt hab ich mein Schätzchen. Lediglich Antwort habe ich nicht erhalten. Und hätte ich eine bekommen, hätte ich diese nicht verstanden. Hätte ich also auch noch den japanischen Baby-Übersetzungsroboter gebraucht und des Japanischen halbwegs mächtig sein müssen. Seufz. Es ist so umständlich und kompliziert. (Fast so umständlich, wie es sein muss, sich immer erst umzudrehen, bevor man von einem Zimmer ins nächste wechseln kann.)
Gottseidank (denn andernfalls würde ich heute noch über des Rätsels Lösung grübeln) ist dann der Groschen irgendwann gefallen. Bei mir. Die Auflösung ist so simpel wie raffiniert. Geradezu genial. Die Oma (die in einem Haus wohnt, nicht wie wir in einer Wohnung) hatte mit MZ 1 (und MZ 2, die sich zu dieser Zeit aber noch als beratungsresistent in der Hinsicht gezeigt hatte) eine Woche zuvor intensiv geübt, wie man sicher Treppenstufen vom einen in das andere Zimmer hinunterkrabbelt und zwar „ärschlings“. Aha!
Und das Gehirn von Mäusezähnchen 1 (und dies nennt sich „Transfer-Leistung) hat hier eine an- und für sich völlig logische Verbindung hergestellt. Zimmerverlassen bedeutet umdrehen. Sicherheitshalber. Ob die Schwelle nun, wie bei Oma und Opa im Haus, aus zwei Stufen zu je 15 cm Höhe besteht oder wie bei uns zum Schlafzimmer höchstens 1 cm beträgt – das spielt noch keine Rolle. Gelernt ist gelernt. Das Warum und Wozu kommt erst nach und nach. Mit der Erfahrung dann. Faszinierend!
Übrigens hat der Papa von MZ 1 und MZ 2 eine ähnlich „andere“ Logik. Eine Männerlogik. Wenn z.B. unsere Haushaltshilfe die Schlafanzughosen von den Mädels versehentlich in das „Leggins- und Jogginghosen-Fach“ im Kleiderschrank einräumt (weil sie anders als der Papa, die Mädchen noch nie abends im Schlafanzug gesehen hat), dann zieht der Papa den Mädchen morgens die Schlafanzughose AN.

Also die eine Schlafanzughose von nachts AUS und die andere frische Schlafanzughose aus dem Schrank AN. Und wenn ich dann verdutzt frage, warum das Kind heute tagsüber in Schlafanzughose herumläuft (er ist zumindest theoretisch in der Lage, sich mit mir auf demselben Kommunikationsweg zu verständigen), sagt er: „Ich hab mich schon gewundert, was die Schlafanzughose da im falschen Schrankfach macht.“ Clever, der Mann. Aber eben leider auch nur theoretisch.

 

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